2019 HeimatVielfaltRevier
Wanderausstellung mit Begleitband und Touchscreen Table:
Neue Heimat Finden, Auf Vielfalt Vertrauen, Im Revier Leben. Migration und Religionen im Ruhrgebiet, Hoesch-Museum 16.06. -14.07. 2019
Das Ruhrgebiet ist die Einwanderungsregion Deutschlands schlechthin. Ohne Migration wäre die Industrialisierung im größten Ballungsraum Europas nicht möglich gewesen. Religion ist das transportable Identitätsmerkmal von Zuwanderern und Zuwanderinnen. So spielt die eigene Religion und "Community" eine wichtige Rolle als Anker im langwierigen Integrationsprozess; sie können aber zugleich Ursache gesellschaftlicher Spannungen und des gemeinschaftlichen Rückzugs sein.
Im Dreiklang des Titels drückt sich der gemeinschaftliche und emotionale Aspekt der Ausstellung und auch der Begleitveranstaltungen aus. Es entstand eine bildreiche, die zugewanderten Menschen in den Mittelpunkt stellende Wanderausstellung.
Die Initiative ging aus vom "Verein zur Erforschung der Kirchen- und Religionsgeschichte" und der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth, die Professoren der Kirchengeschichte wie auch Experten der Religionsgeschichte zur Mitarbeit einluden. Die Führung der Arbeitsgruppe hatte Prof. Traugott Jähnichen, Lehrstuhlinhaber für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. Die Ausstellung wurde in Kooperation mit dem Hoesch-Museum Dortmund erstellt. Das Museum und sein aktiv mitarbeitender Förderverein ergänzten lokale Exponate, Archivalien und Interviews in Zusammenarbeit mit örtlichen Religionsgemeinschaften. Anknüpfungspunkt zum Programm des Kirchentages war der offizielle rote Faden „Migration, Integration, Anerkennung“ im Programm des DEKT. Wissenswertes, das auf den acht Stelen mit 25 Tafeln nicht abzubilden war, lässt sich nachlesen und -schauen in gut verständlichen, Vielfalt und Stand der Forschung abbildenden Beiträgen der 15 Autoren und Autorinnen in dem Begleitband gleichnamigen Titels, siehe (Veröffentlichungen).
Die sehr gut besuchte Premiere im Hoesch-Museum Dortmund am 16.06. 2019 wurde mit Grußworten von Ulf Schlüter, Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, und Heike Proske, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund, eröffnet. Auf der zusätzliche Vernissage, als Programmpunkt des DEKT, konnte Hausherrin Isolde Parussel auch Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat,Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, begrüßen, siehe Leporello (Pressespiegel).
Mein Beitrag auf den Tafeln und im Begleitband galt der Zuwanderung der Masuren, die es als protestantische Ruhrmasuren von den katholischen Ruhrpolen als eigene Gruppe abzugrenzen gilt; das ist in der Geschichtswissenschaft ungeachtet neuerer Forschungen noch immer nicht allgemeiner Wissensstand. Trotz ihrer masurisch-polnischen Sprache hatten die Zuwanderer keine gemeinsame Geschichte mit den Nationalpolen. Beide Gruppen definierten ihre Identität zum einen über ihre Konfession, zum anderen über ihr Preußentum respektive über ihren polnischen Nationalgedanken.
Die Nachkommen von Ruhrmasuren liehen und überließen mir einzigartige und seltene Erinnerungsstücke ihrer Familien wie ein Grubenbeil, Gesang- und Gebetbücher in masurisch-polnischer Sprache, ein Gebetskopftuch und eine Medaillon, die in der Ausstellung zu sehen waren. Eine Reihe digitaler Beiträge konnte ich ebenfalls beisteuern für einen "Touchscreen Table" des Kirchenkreises Recklinghausen während der Ausstellung, vermittelt durch die Stiftung „Freundschaft der Regionen Ruhrgebiet-Masuren“, die Projekte in beiden Regionen zur Erinnerung an die gemeinsame masurische Geschichte unterstützt. (https://stiftungeus.ekvw.de/stiftung-ernten-und-saeen/neuigkeiten-zur-stiftung-eusstartseite/15-10-2018-neuigkeirten-startseite/masuren) Es handelte sich bei meinen Beiträgen unter anderem um die Reformation in Preußen als erstem protestantischem Staat, um Hirtenbriefe des letzten deutschen Pfarrers von Passenheim/Pasym vor dem Einmarsch der Russen 1945 und um zwei repräsentative Lebensgeschichten: Zur Kettenwanderung aus Masuren ins Ruhrgebiet anhand der Familienbiographie des Wanderarbeiters Friedrich Wilhelm Makowski (1898-1971) sowie zur Arbeitsmigration junger Frauen vom Ruhrgebiet in die Niederlande in den 1920er Jahren anhand der Biographie von Hedwig Lenski (1905-1963) und ihrer Familie, siehe Neuigkeiten (Start)
Diskussionsforum „Vertrauenssache: Heimat Europa / Heimat Ruhrgebiet“ , ThyssenKrupp-Infocenter, 20. und 21.6. 2019:
Das Vorbereitungsteam um Prof. Jähnichen, vor allem Sabine Sinagowitz, Dipl.-Pädagogin im Industrie- und Sozialpfarramt des Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, organisierte zwei Diskussionsforen zum Programm des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT) mit Gesprächspartner aus unterschiedlichen Bereichen - daher boten beide Veranstaltungen großen Erkenntnisgewinn, siehe Leporello (Pressespiegel). Bei der zweiten Veranstaltung „Vertrauenssache: Glaube als Weg zur Integration? Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart des Ruhrgebiets", diskutierten wir, welche Bedeutung die Formen der religiösen Selbstorganisation und die Pflege der Herkunftskultur spielen. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, und Prof. Ahmet Toprak, Dekan der Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, erzählten von ihren Kindheits- und Jugenderlebnissen. Während Rekowski betonte, dass Jugendliche Halt im Glauben finden, wenn die eigene Identität unsicher sei, sah Toprak eher die hemmende Seite der Religion bei der Integration, siehe Kirche im Revier, 2019 (Pressespiegel)
Dr. Hans-Jakob Tebarth, Direktor der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne, stellte den reichen Schatz an Literatur und Nachlässen zu deutscher Kultur in den ehemaligen Staaten des Ostblocks vor, den die Bibliothek bewahrt. Dort kristallisieren sich die Spuren, die deutsche Auswanderer, Aussiedler und Vertriebene der verschiedenen Migrationsetappen in den unterschiedlichen Ländern des Ostens hinterlassen haben. Thomas Ridder, wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter und Kurator des jüdischen Museums Westfalen in Dorsten, berichtete über die wenig bekannte Gruppe der ostjüdischen Bergarbeiter im Ruhrgebiet zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts.
Abschließend referierte ich über die Zuwanderung und Eindeutschung der Masuren, die dazu führte, dass Millionen von Nachkommen die Herkunft ihrer Vorfahren nicht kennen, weil die undifferenzierte Verwendung des Begriffes `Ruhrpolen´ oder des abwertenden Schimpfwortes `Polacken´ das Stigma der Nichtzugehörigkeit in sich trugen. Dies verhinderte oft, dass eine prägende Familiengeschichte tradiert wurde. Bereichert wurde die Veranstaltung durch die musikalischen Darbietungen von Karin Badar (Gesang) und Aleksandar Filic (Piano). Als Gast kam auch Fotografin Brigitte Kraemer, von der einige ihrer Aufnahmen bei der Wanderausstellung zu sehen sind. (s. Gruppenbild)
Die Stelen der Ausstellung können am Lehrstuhl von Prof. Jähnichen an der Ev. Fakultät/Ruhr-Universität Bochum ausgeliehen und mit zwei Personen gut aufgestellt werden.
Was für ein Vertrauen/Na czym opierasz swoją ufność.
Deutsch-polnischer Partnerschaftsgottesdienst: Vertrauen - Heimat finden - Masurische Erfahrungen
Presbyter Klaus Lorenz aus Düsseldorf-Wersten, Koordinator des Vorbereitungsteams, dem auch ich angehörte, schrieb für den Heimatboten der Kreisgemeinschaft Ortelsburg:
"Am 20. Juli war die Ev. Martin-Kirche in der Dortmunder Innenstadt voll besetzt wie sonst wohl nur am Heiligen Abend. Die masurischen Kirchenpartnergemeinden haben unter dem Titel „Vertrauen - Heimat finden - masurische Erfahrungen“ einen deutsch- polnischen (masurischen) Partnerschaftsgottesdienst gefeiert und viele Freunde Masurens sind gekommen. Der Gottesdienst wurde vorbereitet und gestaltet von den Kirchenpartnergemeinden Pasym/Passenheim und Szczytno/Ortelsburg sowie Düsseldorf-Wersten, Oberhausen-Osterfeld, Mönchengladbach-Rheydt und Herten. Pfarrer Witold Twardzik aus Passenheim und Pfarrerin Ursula Harfst aus Oberhausen-Osterfeld haben den Gottesdienst geleitet. Die kirchenmusikalische Begleitung erfolgte durch Klaudia Twardzik. Lesungen und Textbeiträge haben Mitglieder der Kirchengemeinde Düsseldorf-Wersten im Gottesdienst beigesteuert. Von dort ist auch die Idee und Initiative zu diesem Gottesdienst gekommen." [...]
"Gesungen wurden alte Kirchenlieder von Komponisten/Textern aus Ostpreußen, so die Lieder „Mach hoch die Tür“ und „Such, wer da will, ein ander Ziel“ von Georg Weissel und „Was mein Gott will, geschehe allzeits“ von Herzog Albrecht von Preußen.
Gesungen wurde abwechselnd strophenweise in deutscher und polnischer Sprache. Es war herrlich anzuhören, dass sowohl die deutschen, wie die polnischen Texte von fast allen Gottesdienstbesuchern laut und kräftig gesungen wurden. Erinnert wurde an die Anfänge und Kernaussagen der Reformation in Ostpreußen. Klaus Lorenz hat im breiten ostpreußischen Dialekt Auszüge aus der Weihnachtspredigt im Königsberger Dom von Bischof Georg von Polentz aus dem Jahre 1523 vorgetragen. Kernaussagen waren u.a. <Doch gleichwohl ist es wahr, dass allein der Glaub fromm und selig macht. Taufen, Gebete und Gottesdienste sollen nicht in Latein, sondern in der verständlichen Sprache der Menschen gehalten werden, „die Deutschen ihr Deutsch, die Böhmen ihr Böhmisch und die Polen ihr Polnisch.>
Der 15-jährige Julian hat in deutscher und polnischer Sprache berichtet, dass sein Ururgroßvater August Lorenz bis Ende der 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts jeden Sonntag zwei Mal in die Ortelsburger Kirche ging. Vormittags ging er in den in Deutsch gehaltenen Gottesdienst und nachmittags in den auch in der Kirche stattfindenden Gottesdienst der Gromadkis, der in masurischer/polnischer Sprache gehalten wurde. Ururopa habe gesagt: Es kann nicht schaden, in beiden Sprachen zum Herrgott zu beten und ihn zu loben. Bis auf die Predigt wurden alle anderen Sprech- und Gesangsteile des Gottesdienstes in beiden Sprachen per Beamer auf eine große Leinwand projiziert. Witold Twardzik hat in seiner auf Deutsch gehaltenen Predigt sehr einfühlsam und eindrucksvoll an die Anfänge der Reformation in Ostpreußen, die Besonderheiten des evangelischen Glaubens, die Zeit des Nationalsozialismus sowie die Vertreibung der deutschen Bevölkerung infolge des Zweiten Weltkrieges, die schwere Zeit der in Masuren gebliebenen evangelischen Gläubigen unmittelbar nach dem Kriegsende und die Anfänge der Begegnungen erinnert. Er stellte weiterhin die segensreichen Wirkungen für die Menschen in Masuren, aber auch für die ehemaligen deutschen Bewohner, aus den sich seit den 1970er und 1980er Jahren bis in die Gegenwart positiv entwickelnden politischen Beziehungen, persönlichen Freundschaften und den in den letzten zwei Jahrzehnten entstandenen institutionellen Partnerschaften heraus. Dem Gottesdienst wohnte auch der Bischof der Evangelisch-Augsburgischen (lutherischen) Kirche Polens bei. [...]
Dem Vernehmen nach soll es wohl der bislang erste deutsch-polnisch gehaltene Gottesdienst auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag gewesen sein. Eingedenk der starken Präsenz Ortelsburger und Passenheimer Einwanderer und Heimatvertriebener im Ruhrgebiet erschien es den Kirchenpartnergemeinden naheliegend und reizvoll auf dem Kirchentag in Dortmund einen masurischen Gottesdienst zu feiern. Die im Gottesdienst gezeigte Präsentation, der Predigttext sowie Bilder vom Gottesdienst sind im Internet auf der Homepage der Kirchengemeinde Düsseldorf-Wersten unter https://evangelisch-inwersten.de/masurische-partnergemeinden/ einsehbar. Klaus Lorenz" Zitat Ende
Am 8. Juli schrieb der Bischof der Evangelisch-Augsburgischen (lutherischen) Kirche Polens eine Email an Klaus Lorenz:
"Sehr geehrter, lieber Herr Lorenz,
ich bedanke mich bei Ihnen für die Materialen und Fotos von dem Gottesdienst, aber besonders danke ich Ihnen für das Engagement und den organisatorischen Aufwand, die sie geleistet haben, um den Gottesdienst zu veranstalten.
Es war eine schöne deutsch-polnische Begegnung, und es gibt die Hoffnung sie in Szczytno zu wiederholen. Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Gemeinschaft in dieser geteilten Welt pflegen können.
Mit herzlichen Grüßen aus Warszawa
Jerzy Samiec "
Im August 2019 reiste der Präses der Evangelischen Kirchen im Rheinland, Manfred Rekowski, in seine masurische Heimat, predigte anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Evangelischen Kirche von Ortelsburg/Szczytno zum Bibelzitat "Suche den Frieden und jage ihm nach." Dazu schrieb Pressereferent Jens Peter Iven:
"Manfred Rekowski, der 1958 im masurischen Mojtyny geboren wurde und als Fünfjähriger mit seiner Familie als Aussiedler in die Bundesrepublik kam, ist mit einem besonderen Geschenk und einer bewegenden Friedensgeschichte nach Polen gereist. Am Sonntagabend überreicht er der evangelischen Gemeinde in Dzwiezuty, früher Mensguth, deren Abendmahlskelch. Dieser war in den Wirren des Zweiten Weltkriegs aus der einst ostpreußischen Kirche verschwunden und – auf welchen Wegen auch immer – einem Auktionshaus in Köln wieder aufgetaucht. Auch mit Hilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland kehrt das kostbare Stück aus dem Jahr 1897 wieder in seine Heimatgemeinde zurück. <Dieser zurückgekehrte Kelch möge nun in besonderer Weise ein Friedenskelch sein>, sagte Rekowski." https://presse.ekir.de/presse/8D6FB2C40F404B4DBC4B9B9C2F875CAC/praeses-predigt-in-polen-suche-frieden-und-jage-ihm-nach